Rechtsanwalt Lê Công Định über „unfaire“ BOT-Autobahnen in Vietnam

Interview mit Saigoner Rechtsanwalt Lê Công Định vom 12.05.2019 (Video: Thoibao.de)

In den vergangenen Jahren haben sich die Proteste gegen „unfaire“ BOT-Autobahnen in Vietnam vermehrt. So sagen die Gegner, dass diese Autobahnen oft falsche Mautgebühren einziehen oder die Mautstation an falscher Stelle liegen. Der aktuellste Fall ist die BOT-Autobahn Thăng Long – Nội Bài in Hanoi. Rechtsanwalt Lê Công Định aus Saigon über die rechtlichen Aspekte der Proteste sowie der Autobahnen.

Die Aufregung in Vietnams Hauptstadt Hanoi ist groß. Eine Mautstation an der BOT-Autobahn Thăng Long – Nội Bài in der Nähe des Flughafens wird Schauplatz von Protesten. Gegner werfen den Betreibern vor, dass diese Mautstelle an der falschen Stelle stünde. So werde hier die Maut für eine Umgehungsstraße in der Stadt Vĩnh Yên eingezogen, die gut vier Kilometer entfernt ist. Eine zusätzliche Belastung für Bevölkerung und Unternehmer, die die Strecke nicht nutzen, sagen die Gegner. Solche Fälle bezeichnen sie als „dreckige BOT-Autobahn“.

Der Regierung gefällt der Aufstand nicht. Sie schickt die Polizei hin. Und schlägt die Proteste blutig nieder. Zahlreiche Demonstranten werden bis in die Nacht in einer Polizeidienststelle festgehalten.

Gegner der BOT-Mautstation in Hanoi werden von der Polizei geschlagen und verhaftet

Deutlicher Verstoß gegen die Verfassung

Eine Polizei, die die eigenen Bürger gewaltsam niederschlägt, geht gegen die Verfassung findet Rechtsanwalt Lê Công Định aus Saigon. So argumentiert er, dass der Artikel 20 der Verfassung der Sozialistischen Republik Vietnam besagt:

„1. Jeder hat das Recht auf körperliche Unversehrtheit und dessen Gesundheit, Ehre und Menschenwürde werden durch das Gesetz geschützt; er/sie wird nicht Folter, Gewalt, Zwang oder Demütigung, oder sonst einer anderen Verletzung des Körpers, der Gesundheit, Ehre oder Menschenwürde ausgesetzt.

2. Keiner wird verhaftet, wenn es kein Urteil durch ein Volksgericht oder Erlass der Staatsanwaltschaft gibt, außer bei einer unmittelbaren Straftat. Festnahme und Gewahrsam werden durch das Gesetz definiert.“

– Artikel 20 der Verfassung der Sozialistischen Republik Vietnam –

Die Tatsache, dass die Polizei ohne jeglichen Tatverdacht Menschen an der Mautstation verhaftet hat, kann sogar strafrechtlich verfolgt werden. Eine Haftstrafe von sechs Monaten bis zu drei Jahren wären da möglich. Bei Missbrauch eines öffentlichen Amtes kann die Haftstrafe sogar maximal sieben Jahre lang werden. Somit waren die Aktionen durch die Polizei nicht nur verfassungswidrig, sondern auch noch strafrechtlich verfolgbar. Ein anderes Problem waren noch Schlägertrupps, die vor Ort waren. Den Verdacht, dass dies Polizisten in Zivilkleidung waren, möchte Lê Công Định nicht bestätigen, aber die Tatsache, dass die Polizei hier tatenlos zugeschaut hat, wie die Schlägertrupps Demonstranten niederschlagen, ist ein weiterer Anhaltspunkt für eine Klage wegen Körperverletzung.

„Kampf für mehr Gerechtigkeit ist richtig, doch die Konsequenzen sind hart“

Lê Công Định betont, dass Protestaktionen, wie die an der Mautstation Thăng Long – Nội Bài in Hanoi richtig sind und ihre Berechtigung haben. Doch seien die Konsequenzen hart, da die vietnamesischen Behörden sich nicht mehr nach dem Gesetz richten. Eine grundlose Festnahme oder die Anwendung von körperlicher Gewalt seien nicht mehr auszuschließen. Auf die Frage, ob man sich selbst auf irgendeine Art und Weise selbst verteidigen kann, antwortet der Saigoner Anwalt, dass man sich nur psychisch auf den schlimmsten Fall vorbereiten kann. Was bringe denn Selbstverteidigung, wenn der Staat jederzeit dazu bereit sei, das Recht mit den Füßen zu treten, meint er.

„Ich finde, dass der vietnamesische Staat von Tag zu Tag immer extremistischer handelt.“

– Rechtsanwalt Lê Công Định –

Eine Option wäre es eine Klage beim lokalen Volksgericht einzureichen. Lê Công Định empfiehlt den betroffenen sich einen Anwalt zu suchen. Eine eigenhändige Klage sei aussichtslos und eine Sammelklage sieht das vietnamesische Gesetz nicht vor.

Vietnam öffnet sich der Welt, muss aber auch nach den internationalen Spielregeln spielen

Als Vollmitglied der Vereinten Nationen und Unterzeichner der Allgemeinen Menschenrechtserklärung von 1948, hat sich Vietnam dazu verpflichtet, Menschenrechte umzusetzen und zu schützen. Doch die Realität sieht anders aus. Unterdrückungen von Demonstranten gehören in Vietnam zur Tagesordnung. Protestaktionen wie an der Hanoier Mautstation sind also kein Einzelfall. Eindeutig wurde UN-Menschenrechtscharta durch die willkürliche Verhaftung von Demonstranten missachtet, betont der Saigoner Anwalt Lê Công Định.

Polizei im BOT-Autobahn Thăng Long – Nội Bài in Hanoi
Polizeidienststelle des Hanoier Sóc Sơn-Distrikts: hier wurden mehr als 10 Mautgegner festgehalten

Das gesamte Interview (auf Vietnamesisch) mit Rechtsanwalt Lê Công Định finden sie hier.

Hoàng Chính – Thoibao.de