Kommentar: Hinter den Kulissen des Prozesses von Đinh La Thăng und Trịnh Xuân Thanh – ein erzwungenes Geständnis?

In den letzten 12 Tagen habe ich vier Kilogramm an Gewicht verloren, weil alle Angeklagten zum Geständnis gezwungen wurden. Über 15 Tage gab es eine Anklage sowie die Entscheidung den Fall vor das Gericht zu bringen gleichzeitig. Der schnellste Prozess in der Rechtsgeschichte. Ein Kommentar von Rechtsanwalt Nguyễn Văn Quynh.

Rechtsanwalt Nguyễn Văn Quynh bei der Verteidigung seines Mandanten Trịnh Xuân Thanh bei der Gerichtsverhandlung am 18.01.2018 in Hanoi

Es brauchte drei Tage bis alle Prozessunterlagen mit 18.000 Anhängen abfotografiert worden sind. Erst am Prozesstag konnte ich meinen Mandaten für eineinhalb Stunden im Gefängnis B14 treffen.

Die Korrektur und Ausdruck der Unterlagen brauchte vier Tage und somit blieben nur noch fünf Tage, um die Unterlagen durchzulesen. Die Rechtsanwälte hatten keine Möglichkeit den Prozess zu verschieben.

Ein Prozesstag ging durchgehend von 7.30 Uhr bis 11.30 Uhr, an manchen Tagen sogar bis 12.00 Uhr.

Die Angeklagten wachen alle um 5.00 Uhr, um zum Gericht aufzubrechen. Gegen Mittag ist Zeit für Mittagessen und die Verurteilung ist direkt um 13.30 Uhr. Alle Angeklagten sind erschöpft, müde und schütteln ihren Kopf vor Lustlosigkeit.

So eine Art von „Blitzprozess“ ohne einen Tag Pause sorgt dafür, dass alle Beteiligten müde werden und Kopfschmerzen bekommen. Bemerkenswert ist, dass der Gerichtssaal sehr klein ist und es vier Störsender gibt. In jeder Ecke einen. Es gibt auch noch viermal so viele Sicherheitsbeamte und Polizisten wie Prozessteilnehmer. Rechtsanwälten und Prozessteilnehmern werden Laptops und Handys abgenommen… doch Sicherheitsbeamte und Polizisten können ganz frei auf Facebook und YouTube surfen. Selbst Zigaretten werden abgescannt, ein Rechtsanwalt kann noch nicht einmal ein Feuerzeug mit in den Gerichtssaal mitnehmen.

Am komischsten ist tatsächlich die Übertragungstechnik des Fernsehens für den Presseraum: die Übertragung verzögert sich um drei bis vier Minuten. Es gibt Tage, da haben die Richter den Prozesstag abgeschlossen, alle Rechtsanwälte waren bereits auf dem Vorhof und die Presse war immer noch im Presseraum, um den Prozess mit drei Minuten Verzögerung über den Bildschirm zu verfolgen.

Viele Berichte und Artikel sind nicht vollständig oder korrekt. Ein Beispiel: der Angeklagte Đinh La Thăng hat sich entschuldigt und die Verantwortung als Führung der PetroVietnam übernommen. Er habe seine Untergestellten dazu veranlasst, falsche Aktionen durchzuführen. Das  bedeutet aber nicht, dass Đinh La Thăng seine Schuld eingesteht…

Meiner Meinung nach ist dieser Prozess ein „erzwungener“ Prozess, der den Willen der Prozessteilnehmer, wie die Herausgabe des Untersuchungsberichts, der Anklage sowie des Urteils, zunichte macht. Eine Prozessdauer von noch nicht einmal 30 Tagen gibt einem Rechtsanwalt nicht genug Zeit, um den Fall zu begutachten, die Unterlagen zu sichten, um seinen Mandanten vor unzureichenden Anschuldigungen zu schützen. Aber wir haben alles getan, was in unserer Macht steht, wegen unserer größten Verantwortung: vor dem Gericht haben wir Beweise geliefert, an denen keiner zweifeln kann.

Der Angeklagte Trịnh Xuân Thanh bei seiner letzten Aussage vor der Urteilsverkündung (18.1.2018)

Zwei Koffer und ein Karton voller Prozessunterlagen mit 18.000 Anhängen wurden von meinen Kollegen in der Kanzlei für den Prozess vorbereitet (Bild: Facebook-Profil Nguyễn Văn Quỳnh)

Rechtsanwalt Nguyễn Văn Quynh (rechtlicher Vertreter für Trịnh Xuân Thanh) – Hanoi, den 18.01.2018

Weiterführende Links:

(Nur Vietnamesisch): Generalsekretär Nguyễn Phú Trọng und die Podiumsdiskussion über Pressefreiheit in Vietnam

Oberpfälzer Netz: Die Oberpfalz im Zentrum eines Agentenkrimis

(Nur Vietnamesisch): Das Auswärtige Amt bestellt den vietnamesischen Botschafter Đoàn Xuân Hưng zum 4. Mal ein

VD-News: Ist das Ablehnen der Einreise von Trinh Xuan Thanhs Rechtsanwältin nach Vietnam gerechtfertigt?

———

Kasse animation 7.8.2023