Zuerst erinnerten Moderatorin Marina Mai und Rechtsanwältin Petra Schlagenhauf an die Entführung von Trinh Xuan Thanh am 23. Juli 2017 aus dem Berliner Tiergarten bis nach Hanoi. Das Berliner Kammergericht hatte festgestellt, dass die Entführung durch Vietnams Innenminister To Lam in Auftrag gegeben wurde und von dem damaligen stellvertretenden Geheimdienstchef Duong Minh Hung von einem Berliner Hotelzimmer aus koordiniert wurde. Die Entführung stellte einen eklatanten Bruch des deutschen Rechts und des Völkerrechts dar. Die Bundesregierung hat mit harten diplomatischen Sanktionen darauf reagiert. Viele – nicht alle – dieser Sanktionen wurden allerdings im November 2018 wieder aufgehoben. War das richtig?
Der Journalist Trung Khoa Le und die Rechtsanwältin Petra Schlagenhauf beantworteten diese Frage mit „Ja, aber“. Le verwies darauf, dass auch kleine Firmen in Vietnam unter den Sanktionen gelitten hatten. Das sollte nicht das Ziel diplomatischer Sanktionen der Bundesregierung sein. Schlagenhauf ergänzte, dass aus globalen Gründen die Beziehungen zwischen Deutschland und Vietnam nach einer mehr als einjährigen Eiszeit wieder funktionieren mussten: Vietnam ist das Nachbarland von China. Der Bundesnachrichtendienst BND arbeitete mit vietnamesischen Sicherheitsdiensten zusammen. Das musste wieder funktionieren. Ganz „normal“ sind die zwischenstaatlichen Beziehungen allerdings bis heute nicht. Inhaber vietnamesischer Diplomatenpässe können bis heute nicht wieder visafrei nach Deutschland einreisen wie vor der Entführung. Und das wird wohl auch so bleiben, bis Trinh Xuan Thanh das Gefängnis verlassen und nach Deutschland zurückkehren darf.
Wird er wieder freikommen? Rechtsanwältin Petra Schlagenhauf hat die Hoffnung nicht aufgegeben. „Ich hatte aber gedacht, das geht schneller“, räumt sie ein. „Aber es ist so, dass diejenigen, die die Entführung in Auftrag gaben, nämlich Parteichef Nguyen Phu Trong und Innenminister To Lam noch im Amt sind. Wir müssen wahrscheinlich warten, bis sie aus Alters- oder anderen Gründen abtreten.“
Wolfgang Büttner von der Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ verwies darauf, dass sich die Menschenrechtslage in Vietnam in den fünf Jahren seit der Entführung verschlechtert hatte. „Sie war noch nie gut. Aber im Moment ist es so, dass sämtliche kritische Stimmen aus der Zivilgesellschaft entweder außer Landes sind oder im Untergrund oder in Haft.“ Eine neue Tendenz sei, dass auch Umweltaktivisten inhaftiert werden. Er nannte als Beispiel Nguyen Thi Khanh, die unter dem Vorwand der Steuerhinterziehung zu zwei Jahren Haft verurteilt wurde. Sie hatte sich dafür eingesetzt, dass Vietnam weniger Kohle abbaut, um damit die Umwelt zu schützen und die Klimaziele zu erreichen, zu denen sich Vietnam auf internationalen Konferenzen verpflichtet hatte. „Hier ist die EU gefordert, das Thema gegenüber Vietnam anzusprechen und das Freihandelsabkommen mit Vietnam noch einmal zu überprüfen.“
Die Frage, ob es eine Entführung durch den vietnamesischen Geheimdienst aus Europa wie 2017 auch 2022 noch einmal geben könnte, beantworteten die Gesprächspartner unterschiedlich. Petra Schlagenhauf kann sich das nicht vorstellen. „Die vietnamesische Regierung hatte sich das wahrscheinlich einfacher vorgestellt. Sie dachte, niemand bemerkt das und niemand spricht später noch darüber. Dass das Thema international so hochkochte, brachte einen riesigen Imageverlust für Vietnam.“ Wolfgang Büttner kann sich Entführungen durch den vietnamesischen Geheimdienst aus nichteuropäischen Staaten weiterhin vorstellen. „Vietnam ist keine Demokratie und Vietnam spannt im Ausland lebende Landsleute für seine Interessen ein.“ Und Trung Khoa Le will das auch für Europa nicht völlig ausschließen.
Marina Mai